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Writer's pictureSascha Finger

Smart Borders auf verlassener Route

In der Ausgabe N°46 von Fakten statt Mythen wurde über die Situation Schutzsuchender an der Südgrenze Ungarns berichtet. Heute, ein Jahr nach der Fertigstellung des Grenzzauns, bieten sich bei einem Besuch in der Region erneut erstaunliche Einblicke. Waren im letzten Sommer noch durchschnittlich 700 Menschen im informellen Flüchtlingscamp bei Horgos/Röszke untergebracht, steht das Camp heute fast leer. Was ist passiert? Hat die Grenzverstärkung in Südungarn die Balkanroute wirklich zum Erliegen gebracht?


Tatsächlich haben sich die Fluchtrouten über die letzten Monate verschoben. Dies hat aber nicht nur mit der ungarischen Grenzsicherung zu tun. Auch Bulgarien errichtete einen Zaun und andere Länder des Balkans wie Serbien oder Kroatien üben strikte Grenzkontrollen aus. Obgleich die Balkanroute nie vollständig geschlossen wurde, ist der Rückgang der Zahl der Flüchtenden deutlich. Überquerten im Sommer 2015 noch bis zu zehntausend Menschen täglich die Grenze, wurden ein Jahr darauf täglich nur 15 Personen in die Transitzone in Ungarn aufgenommen.


Die ungarische Regierung hat die Transitzone bei Röszke innerhalb eines Jahres von rund 2´400 Quadratmetern auf heute etwa 15´000 Quadratmeter ausgeweitet. Der Komplex besteht ausschliesslich aus Containern und dient dem ungarischen und europäischen Grenzpersonal, unter anderem auch FRONTEX. Zusätzlich wurden Zugangsstrassen und Parkplätze errichtet und ein Funkturm aufgestellt.


Wer glaubt, grössere Transitzonen würden besseren Bedingungen und schnelleren Verfahren dienen, sieht sich getäuscht. Denn die ungarische Regierung hat die Antragszahlen abermals begrenzt und lässt derzeit nur noch fünf Personen täglich in die Transitzone. Weiter beharrt sie auf einem Zeitpuffer von 28 Tagen, um zu prüfen, ob eine schutzsuchende Person überhaupt Asyl in Ungarn beantragen darf. Während dieser Zeit bleiben die Menschen in der Containerfestung.


Trotz rückläufiger Zahlen hat die ungarische Regierung 20 Meter hinter der ersten eine zweite Zaunreihe errichtet. Diese smart borders sind mit Bewegungsmeldern, Überwachungskameras und Tastsensoren ausgestattet. Jedem, der diese auslöst, wird ab Band in 10 verschiedenen Sprachen klar gemacht, dass das Überqueren eine Straftat darstellt. Wie ein Grenzbeamter erklärt, sei die Grenzpolizei bei einem Übertritt oder nur schon einer Berührung des Zauns binnen einer Minute am Ort des Geschehens. Da die Polizei zusätzlich während 24 Stunden innerhalb dieses Grenzstreifens patrouilliert, ist ein Übertritt nahezu aussichtlos.


Laut Zoltán Nógrádi, dem Bürgermeister aus dem kleinen ungarischen Grenzort Mórahalom, gelangen Schutzsuchende nach wie vor über die serbisch-ungarische Grenze. Sie schaffen es, indem sie kleine Tunnel graben oder an offenen Stellen wie etwa Flüssen die Grenze überqueren. Nach wie vor haben sie dabei Unterstützung von Schleppern. Doch auch auf der Strasse sind die Grenzkontrollen strikter geworden. Fast jedes Auto muss an der Grenze geöffnet werden.


Ungarn setzt ganz auf die Angst der Bevölkerung vor Überfremdung und schreckt die Schutzsuchenden schon an der Grenze mit allen Mitteln ab. Dahinter steckt auch Propaganda für die Wahlen 2018. So beruft sie sich auf das UNHCR, das darauf hinweist, dass sich 94 Prozent der syrischen Flüchtlinge noch in den Nachbarstaaten Syriens aufhalten. Da damit zu rechnen sei, dass diese Menschen nach Europa kommen, sei es angezeigt weiterhin gezielt mit staatlichen Werbesendungen und Plakaten Anti-Flüchtlingspropaganda zu betreiben.


Die immer undurchlässigere Balkanroute hat zur Konsequenz, dass diese Wege gefährlicher werden, vermehrt Schlepper tätig sind und sich die Routen teilweise verschieben. Seit September 2016 wählen wieder mehr Menschen den Weg übers Mittelmeer und nutzen damit zum Teil auch die Schweiz als Alternativroute.

Abermals verschärfte Grenzkontrollen in Ungarn, ein verstärkter Polizeieinsatz in der Grenzregion und die anhaltende Anti-Flüchtlingspropaganda prägen auch den Sommer 2017 an der Grenze der Europäischen Union. Dabei stellt sich die Frage, ob überhaupt noch Menschen diese Route wählen. Ob die Grenzsicherungs- und Abschreckungskosten gerechtfertigt sind, ist deshalb ebenfalls fraglich. Dieses Geld wäre wohl besser investiert, wenn es in die Integration fliessen würde.

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