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Selbstbestimmt in die Rechtsunsicherheit und Instabilität

Die SVP-Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» speist den Mythos, sich als direktdemokratisch organisierter Kleinstaat autonom und befreit von rechtlichen internationalen Verpflichtungen behaupten zu können. Fakt ist jedoch, dass der ideelle und wirtschaftliche Reichtum der Schweiz seit der Gründung des Bundesstaats in einem hohen Mass in ihrer starken globalen Vernetzung liegt. Ein breites Bündnis bekämpft die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative (SBI); die Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH unterstützt diese vielfältige Allianz der Zivilgesellschaft.


Wenn der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse sich mit Menschenrechtsgruppierungen zusammen tut, um die Kräfte zu bündeln, dann steht wohl einiges auf dem Spiel: Gemäss Economiesuisse würde bei Annahme der Initiative die Verlässlichkeit der Schweiz als Handelspartnerin in Frage gestellt. Nur noch jene der rund 600 internationalen Abkommen, denen die Stimmbürger_innen in einer Volksabstimmung zugestimmt haben (Referendum), sollen unangetastet bleiben. Die Initiative reiht sich ein in die kontinuierliche Demontage der Grund- und Minderheitsrechte. Die Gründe für die breite Gegnerschaft mögen unterschiedlich sein; alle möchten aber, dass die Schweiz international weiterhin eine zuverlässige Partnerin bleibt. Das aussenpolitische Konzept des Kleinstaates im Herzen Europas habe sich seit der Gründung des Bundesstaates bewährt. Es sei der Schweiz gelungen, sich mit internationalen Verträgen und Abkommen Sicherheit und Wohlstand zu verschaffen, ohne dass sie damit ihre direkt-demokratischen Spielregeln und Grundrechte habe einschränken müssen.


Um was es genau geht

Wird die Initiative von den Stimmberechtigten angenommen, soll in Zukunft das Verfassungsrecht der Schweiz (nationalem Recht) über dem internationalen Recht (Völkerrecht) stehen. Wenn es zu Widersprüchen kommt zwischen nationalem und Völkerrecht, müssen davon betroffene internationale Verträge und Abkommen entweder neu verhandelt oder gekündigt werden: zum Beispiel die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), die Kinderrechtskonvention (KRK) oder die Antifolterkonvention (FoK). Falls die Schweiz die EMRK kündigen würde, könnten nicht nur Schutzsuchende sondern auch Schweizerinnen und Schweizer zum Beispiel vor Willkür des eigenen Staates nicht mehr durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geschützt werden. Die EMRK ist eine notwendige Rückversicherung unter anderem für den Schutz vor Folter, Sklaverei, Zwangsarbeit und Diskriminierung. Sie garantiert fundamentale Rechte wie das Recht auf Leben, auf freie Meinungsäusserung, auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, auf Eheschliessung, auf Achtung des Privat- und Familienlebens und vieles mehr.


Die Initiative schwächt also den Grundrechtsschutz und führt zu einer unübersichtlichen Lage. Menschenrechte sind die unverzichtbare Basis unseres Rechtssystems. Die Schweiz hat sich freiwillig dazu bekannt und fremd sind auch die Richter nicht.


Fremd mag den Initianten höchstens vorkommen, dass die Schweiz im EGMR für neun Jahre von einer Frau, Richterin Helen Keller, vertreten ist. Die Richterinnen und Richter des EGMR werden von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PVER) gewählt wo die Schweiz mit sechs Parlamentarier_innen vertreten ist. Würde die Schweiz die EMRK kündigen, müsste sie vermutlich auch aus dem Europarat austreten. Bis dahin gab es diesen Fall noch nicht, doch sind die Mitglieder des Europarats dazu verpflichtet, sich an rechtsstaatliche Grundsätze zu halten. Der Bundesrat hat dem Parlament im Jahr 2017 die Ablehnung der Initiative ohne Gegenvorschlag beantragt. Der Ständerat und der Nationalrat sind dieser Empfehlung gefolgt. Die Initiative schwäche die Schweiz wirtschaftlich und ideell, sie gefährde die Stabilität und Verlässlichkeit unseres Landes und untergrabe die Rechts- und Planungssicherheit für alle Akteure.


Von Barbara Graf Mousa

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