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Klimaflüchtlinge gibt es nicht

Die Folgen des Klimawandels sind weltweit spür- und messbar und damit zu einer Tatsache geworden. 2015 machten Naturkatastrophen über 19 Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen. Aktuell sieht sich jeder siebte Mensch veranlasst, innerhalb oder ausserhalb seines Herkunftslandes nach einer neuen gesicherten Existenzgrundlage zu suchen. Umweltmigration ist in einem noch nie da gewesen Ausmass im Gange, so das Autorenteam des im September 2017 publizierten Atlas der Umweltmigration. Dieser stellt – anschaulich illustriert, dokumentiert und mit hilfreichen Infografiken versehen – nicht nur eine Zusammenfassung des heutigen Forschungsstandes zur Umweltmigration dar, sondern beleuchtet auch inhaltlich deren Herausforderungen und Chancen sowie politische Lösungsansätze und mögliche Steuerungsmassnahmen. Die Bezeichnung «Klimaflüchtling» wird im Atlas nicht explizit verwendet. Doch bereits auf den ersten Seiten deckt die Autorenschaft einen Mythos auf, der die Debatte seit der Nachkriegszeit bis heute prägt: Die zweidimensionale Kategorisierung in «echte Flüchtlinge» für Menschen, die aus ihrem Herkunftsland aus politischen Gründen flüchten müssen und in «Wirtschaftsflüchtlinge» für Menschen, die freiwillig migrieren in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Einige Staaten berufen sich darauf, um möglichst viele Schutzsuchende so definiert als «Wirtschaftsflüchtlinge» abweisen zu können.


Klimaflüchtlinge sind völkerrechtlich nicht geschützt

Angesichts der Zunahme von Vertriebenen wegen jähen Naturkatastrophen, schleichender Umweltzerstörung, Abfolgen von Dürren und Hochwasser, Bodenversalzung, zunehmender Wüstenbildung hat die Klimaflucht in den letzten Jahren Eingang in die Agenden der internationalen Politik gefunden. Die New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten vom 16. September 2016 nennt den Klimawandel als einen von vielen Fluchtgründen schon in der Einleitung: «[…] Bei wieder anderen sind die nachteiligen Auswirkungen von Klimaänderungen, Naturkatastrophen (die teilweise mit Klimaänderungen in Verbindung stehen können) oder anderen Umweltfaktoren Grund des Aufbruchs. […]» Die 193 Staaten, welche diesen globalen Pakt unterzeichnet haben, bekräftigen darin ihre Mitverantwortung und zudem, dass alle Flüchtlinge und Migranten «Träger von Rechten» sind.


Noch gehören die Auswirkungen des Klimawandels aber nicht zu den anerkannten Fluchtgründen. In der Neuen Zürcher Zeitung NZZ vom 9. November 2017 erklärt der emeritierte Berner Professor für Staatsrecht Walter Kälin in einem Video, warum Klimaflüchtlinge völkerrechtlich nicht geschützt sind. Einer der wichtigsten Gründe ist, dass es wissenschaftlich immer noch kaum nachweisbar ist, dass eine schutzsuchende Person wegen der Auswirkungen des Klimawandels geflüchtet ist. Hinzu kommt, dass der Flüchtlingsbegriff klassischerweise verstanden wird als eine Verfolgung durch «Menschenhand» – vom Menschen (vermeintlich) unabhängige Naturereignisse fallen nicht in den Verfolgungsbegriff der Flüchtlingsdefinition.


Verantwortung mittragen und sichere Migration ermöglichen

Sich hinter Angstszenarien zu verstecken mit der zweifelhaften Prognose, dass all diese Klimaflüchtlinge nach Europa kommen werden, wiederspricht den Tatsachen: Direktbetroffen sind die Ärmsten der Armen, die Kleinbäuerinnen, die Fischer, die Viehhirte, landlose Wanderarbeiter, Menschen, die Micro-Landwirtschaft und Kleinhandel betreiben und ohnehin davon kaum leben können. Weil ihre natürlichen Ressourcen durch die Auswirkungen des Klimawandels unmittelbar bedroht sind, werden Menschen zu intern Vertriebenen oder sind gezwungen, Zuflucht in Nachbarländern zu suchen. Sie bleiben oft jahrelang Binnenflüchtlinge oder sogenannte Katastrophenflüchtlinge in Warteposition. Bereit, in ihre Heimat zurückzukehren, wenn es dort wieder eine wirtschaftliche Grundlage gäbe.


Die SFH-Mitgliedorganisation Caritas erachtet den Begriff Umweltmigrant als verharmlosend und spricht deutlich von Klimaflüchtlingen. Das Positionspapier «Schutz und Perspektiven für Klimaflüchtlinge» veranschaulicht dies konkret, bietet einen hilfreichen Überblick und schliesst mit klaren Lösungsansätzen: Verantwortung mittragen, internationale Solidarität auch in den nationalen und lokalen Politgremien üben und mit Massnahmen zur Reduktion des Klimawandels beitragen, der zum grössten Teil von den Industrieländern verursacht wird. Die Betroffenen schützen und unterstützen, zum Beispiel indem sichere Migrationswege ermöglicht werden. Von migrationspolitischen Lösungsansätzen, wie sie die Pazifikstaaten vorsehen oder in lateinamerikanischen Staaten für die Binnenmigration von Viehhirten bereits praktiziert werden, lernen.


Von Barbara Graf Mousa

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