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  • Writer's pictureRobin Stünzi

Ist das geplante Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei umsetzbar?

Am 7. März dieses Jahres haben die Europäische Union (EU) und die Türkei beim Gipfeltreffen in Brüssel einen gemeinsamen Aktionsplan verabschiedet. Dieser soll dazu dienen, die gegenwärtige Situation im Asylbereich in den Griff zu bekommen. Unter den verschiedenen Massnahmen, die im Plan aufgeführt sind, hat der sogenannte «1-für-1-Ansatz» am meisten Beachtung erhalten. Dieser würde es der EU ermöglichen, alle in Griechenland ankommenden Migrantinnen und Migranten in die Türkei zurückzuschaffen. Im Gegenzug verpflichten sich die EU-Mitgliedstaaten, ebenso viele syrische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aufzunehmen, die sich gegenwärtig in der Türkei befinden.


Aus rechtlicher Sicht bleiben zahlreiche Fragen offen in Bezug auf das geplante Abkommen, das verschiedene grundlegende völker- und europarechtliche Bestimmungen im Asylbereich unterwandert. Zu den problematischsten Aspekten des geplanten Abkommens gehören etwa die Missachtung des Rechts auf individuellen Zugang zum Asylverfahren und auf effektive Beschwerdemöglichkeiten vor der Ausschaffung, das Umgehen des Verbots der Kollektivausweisung, die potentielle Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, sowie die Bezeichnung eines Staates – der Türkei – als einen «sicheren Drittstaat». Bereits sind zu diesen Aspekten heftige Debatten auf akademischer Ebene im Gange.


Neben diesen rechtlichen Diskussionen, welchen der Gesprächsstoff so rasch wohl nicht ausgehen wird, ist insbesondere auch eine genauere Betrachtung der praktischen Konsequenzen dieses Mechanismus angebracht, den Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rats, als Möglichkeit, die «illegale Migration in Europa» zu stoppen präsentiert.


Geht man hypothetisch von der Möglichkeit aus, dass es die Behörden der EU schaffen, die verschiedenen rechtlichen Hindernisse zu bewältigen und die Türkei als «sicheren Drittstaat» zu bezeichnen, müssten trotzdem – eventuell raschere, aber dennoch individuelle – Asylverfahren durchgeführt werden. Folglich drängt sich eine Frage unmittelbar auf: Wer ist für die Bearbeitung der Anträge und den Vollzug der Wegweisungen zuständig? Die griechischen Behörden sind offensichtlich nicht in der Lage, ein Unterfangen dieser Grössenordnung durchzuführen. Auch dann nicht, wenn sie dabei durch die Agentur FRONTEX und das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) unterstützt würden. Die Aufgabe wäre einzig durch eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten zu bewältigen – bloss ist eine solche, wenn es um die Bewältigung der «Migrationskrise» ging, bis anhin nie zustande gekommen.


Selbst falls sich die EU-Mitgliedstaaten bezüglich des Vollzugs der Wegweisungen einigen sollten, würde sich weiterhin die Frage nach der Umsetzbarkeit der Gegenleistung stellen, d.h. der Relocation (Umsiedlung) der syrischen Flüchtlinge, die sich noch auf türkischem Boden befinden, nach Europa. Angesichts der Schwierigkeiten, welche die Umsetzung des Relocation-Programms für 160'000 innerhalb Europas bereitet hat und noch immer bereitet (6 Monate nach der Verabschiedung des Programms sind weniger als 1000 Personen effektiv umgesiedelt worden), sind ernsthafte Zweifel bezüglich der Umsetzbarkeit eines solchen Projekts zumindest berechtigt. Dies umso mehr, als der Umfang der Umsiedlung in keiner Weise beziffert werden kann, da er direkt von der Anzahl Ausschaffungen von Griechenland in die Türkei abhängig ist.


Dieses Abhängigkeitsverhältnis erscheint besonders problematisch. Neben den moralischen Fragen, die es eindeutig aufwirft, kann es insbesondere auch auf die folgende Art und Weise interpretiert werden: Je mehr Personen über die Türkei nach Griechenland gelangen, desto mehr Personen muss die EU Schutz gewähren. Daraus wird ersichtlich, welche ungewünschten Effekte dieser Ansatz nach sich ziehen könnte. Vor allem auch wenn man sich vor Augen hält, woher die davon betroffenen Personen stammen und aus welchen Gründen sie Schutz suchen.


In der Tat stammen gemäss Angaben des UNHCR 90% der Personen, die Griechenland seit Anfang des Jahres auf diesem Weg erreicht haben, aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Würde das Projekt tatsächlich umgesetzt und würde es schutzsuchende Personen trotz den genannten Hindernissen davon abhalten, über den Seeweg nach Griechenland zu gelangen, so würde dies in keiner Weise etwas an den Gründen ändern, aus denen die betroffenen Personen aus ihrem Herkunftsstaat oder ihrem letzten Aufenthaltsstaat flohen. Unter diesen Umständen muss vielmehr befürchtet werden, dass sie noch längere, kostenaufwändigere und – vor allem – tödlichere Routen auf sich nehmen werden, um Schutz zu finden.

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