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  • Writer's pictureAnne Kneer

Auslieferung und Asyl: Verfahren mit Berührungspunkten und Parallelitäten

Im März 2017 berichteten mehrere Medien über ein etwas spezielleres Asylverfahren: Eine mutmassliche ETA-Aktivistin wurde in Spanien zu mehreren Jahren Haft verurteilt, da sie sich an Handlungen der ETA beteiligt haben soll. Die Frau tauchte vor Antritt der Haft unter, weshalb sie per internationalem Strafbefehl Spaniens gesucht wurde. Die Aktivistin wurde im Jahr 2016 in Zürich verhaftet und ersuchte um Asyl. Sie macht geltend, dass sie nicht für die ETA gearbeitet und ihr Geständnis im Jahr 1999 nur unter Folter abgelegt habe. Das Asylgesuch wurde erstinstanzlich abgelehnt und das Bundesamt für Justiz (BJ) hat dem Auslieferungsersuchen entsprochen.


Dieser Fall zeigt exemplarisch die Parallelitäten zwischen Auslieferungsverfahren und Asylverfahren auf: Zum einen fordert ein Staat die Auslieferung einer Person aufgrund einer mutmasslich begangenen Straftat, damit ihr in diesem Land der Prozess gemacht werden kann respektive damit die Person in diesem Land die verhängte Strafe verbüssen kann. Zum anderen macht die Person geltend, dass es sich bei dem Strafverfahren um eine asylrelevante (meist politische) Verfolgung handelt und ihr bei einer Auslieferung ernsthafte Nachteile drohen. Beide Forderungen müssen von den Schweizer Behörden ernst genommen und sorgfältig in zwei separaten Verfahren geprüft werden. Auf der einen Seite steht das Asylverfahren auf der anderen das Auslieferungsverfahren.


Keine Auslieferung bei „asylrelevanter Verfolgung“

Grundsätzlich darf gemäss dem Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen keine Person an einen Staat ausgeliefert werden, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass das ausländische Strafverfahren der EMRK oder dem UNO-Pakt-II widerspricht. Gleiches gilt, wenn ein solches durchgeführt wird, um eine Person wegen ihrer politischen Anschauungen, wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus Gründen der Rasse, Religion oder Volkszugehörigkeit zu verfolgen oder zu bestrafen (Art. 2 IRSG). Die Schweizer Behörden müssen sich in Bezug auf das Auslieferungsbegehren daher die schwierige Frage stellen, ob es sich im Einzelfall um eine legitime Strafverfolgung oder um eine asylrelevante Verfolgung durch die Strafrechtsmechanismen eines Staates handelt. Es fällt auf, dass dieser Ausschluss einer Auslieferung viele Parallelen zur Flüchtlingsdefinition sowie zum Non-Refoulement-Gebot aufweist, weshalb das Asylverfahren und das Auslieferungsverfahren eng verknüpft sind.


Zuständigkeit und Verfahren

Die beiden Verfahren werden hingegen nicht von derselben Behörde geprüft. Für Auslieferungsverfahren ist das Bundesamt für Justiz zuständig. Dessen Entscheid kann beim Bundesstrafgericht angefochten werden. Das Asylgesuch wird vom Staatssekretariat für Migration (SEM) geprüft. Beschwerde kann beim Bundesverwaltungsgericht erhoben werden. In beiden Verfahren entscheidet allenfalls das Bundesgericht letztinstanzlich, was eine Ausnahme im Asylverfahren darstellt.


Diese Parallelität über oft ähnliche Rechts- und Sachverhaltsfragen erfordert von den Behörden eine gute Koordination und Zusammenarbeit, ohne die Unabhängigkeit der Institutionen einzuschränken. Sowohl das BJ als auch das SEM sind demnach verpflichtet, die Informationen der anderen Behörde beizuziehen und zu berücksichtigen. Im Sinne einer kohärenten Rechtsprechung sind sie zu koordinieren. Grundsätzlich haben die beiden Verfahren jedoch keinen Einfluss auf den Ausgang des anderen, weshalb in beiden Fällen eine korrekte und vollständige Feststellung des Sachverhalts erfolgen muss.


Koordination zwischen Auslieferung und Asyl

Wird die Person rechtskräftig vom SEM oder vom Bundesverwaltungsgericht als Flüchtling anerkannt, ist dieser Entscheid auch für die Auslieferungsbehörden bindend. Eine Auslieferung an den Heimatstaat ist in diesem Fall nicht zulässig, unabhängig davon, ob das Strafverfahren legitim ist oder nicht.


Wird das Asylgesuch rechtskräftig abgelehnt, entscheiden die Auslieferungs-behörden frei über das Auslieferungsersuchen und informiert das SEM über ihren Entscheid.


Wird die Auslieferung von den Auslieferungsbehörden verweigert, ist es je nach Begründung möglich, dass das SEM oder das Bundesverwaltungsgericht auf den Asylentscheid zurückkommen und die Person als Flüchtling anerkennen.


Hat das BJ oder das Bundesstrafgericht bereits entschieden, dass der Auslieferung entsprochen werden kann, erfolgt keine Prüfung und Verfügung der Wegweisung. Die Asylbehörden haben aber nach wie vor über das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft (gegebenenfalls auch aus anderen Gründen) zu befinden.


Fazit

Die beiden Verfahren weisen demnach viele Übereinstimmungen auf, wobei nicht vergessen werden darf, dass die Prüfung der Asylbehörden je nach Vorbringen umfassender ausfallen kann beziehungsweise muss. Der Fall der ETA-Aktivistin wurde im März 2017 erstinstanzlich sowohl vom BJ als auch vom SEM entschieden, wobei eine politische Verfolgung ausgeschlossen und das Auslieferungsersuchen bewilligt wurde. Diese Entscheide sind noch nicht rechtskräftig und es bleibt abzuwarten, ob gegen die beiden Entscheide Beschwerde erhoben wird und auch das Bundesverwaltungsgericht (Asylverfahren) und das Bundesstrafgericht (Auslieferungsverfahren) sowie allenfalls auch das Bundesgericht den Fall zu prüfen hat.


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