Die Zuwanderung polarisiert die Menschen und die politische Landschaft in Europa. Die Fakten zeigen, dass Rechtsextreme Gruppierung zwar zunehmend lauter, aktiver und gefährlicher werden, jedoch nicht unbedingt mehrheitsfähiger.
Ende August nahmen in Chemnitz Tausende an einer spontanen Demonstration rechter Gruppierungen teil. Bilder von Hitlergrüssen, Aufnahmen von rassistischen Parolen und das umstrittene Video einer Hetzjagd auf junge Migranten sorgten für weltweite Aufmerksamkeit. Anfang September wurden im liberalen Schweden die rechtsextremen Schwedendemokraten zur drittstärksten Kraft gewählt. In ganz Europa scheinen Parteien und Bewegungen mit ausländerfeindlicher Politik zu punkten und rassistische Appelle und Übergriffe an der Tagesordnung zu sein. Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte ortet in den letzten zehn Jahren eine ansteigende Tendenz bei antisemitischen oder diskriminierenden Vorfällen. Auch in der Schweiz haben Beratungsstellen für Rassismusopfer einen Anstieg gemeldeter Vorfälle registriert. In einem wissenschaftlichen Artikel im renomierten Journal «Ethnic and Racial Studies» wurde gleichzeitig die mangelnde Diskussion um Rassismus in der Schweiz im Allgemeinen und die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) im Besonderen hart attackiert, u.a. aufgrund ihrer mangelnden Ressourcen und Unabhängigkeit, aber auch weil Rassismus lediglich im Kontext „tragischer Einzelfälle“ und nicht als institutionelles Problem gesehen werde.
Konstant positives Bild von Integration
Diese Ereignisse lassen die Vermutung zu, dass sich etwas Grundlegendes in Europa verändert. Umso erstaunlicher sind die Ergebnisse des Integrationsbarometers des deutschen Sachverständigenrats für Integration und Migration, die Mitte September erhoben wurden. Die repräsentative Befragung hat ergeben, dass die Deutschen ein überwiegend positives Bild zur Integration von Zugewanderten haben – und zwar seit Beginn der Erhebungen 2011 relativ konstant. Die Ereignisse der letzten Jahre scheinen relativ wenig Einfluss auf die Stimmung gegenüber Zuwandernden gehabt zu haben. Dies bestätigen weitere europäisch vergleichende Studien, die mit wenigen Ausnahmen eher konstante Einstellungen zu Migration finden.
Wie können wir diese Phänomene miteinander in Einklang bringen? Verschiedene Wissenschaftler_innen wie der Brite Rob Ford weisen darauf hin, dass Migration die Europäeer_innen stärker polarisiert. Die deutsche Friedrich Ebert Stiftung spricht hierbei von einer «Gespaltenen Mitte» Es findet daher also nicht unbedingt ein grösserer «Rechtsruck» in den politischen Einstellungen der Bevölkerung statt, sondern ein stärkeres Auseinanderdriften zwischen migrationsfreundlichen und –feindlichen Gruppen. Im letzteren Fall scheint es eine grössere Unterstützungsbereitschaft für rechtspopulistische Parteien wie Schwedendemokraten oder Alternative für Deutschland und sogar für klar rechtsextremistische Veranstaltungen wie in Chemnitz zu geben. Dies deckt sich mit Studienergebnissen in der Schweiz oder in Deutschland, wonach schon vor über zehn Jahren festgestellt worden ist, dass eine beachtliche Minderheit rechtsextreme, antisemitische und rassistische Einstellungen hegen. Gleichzeitig zeigen aktuelle Studien aber auch, dass sich weiterhin viele Menschen aktiv für Zugewanderte und insbesondere für Geflüchtete einsetzen – in Deutschland seit 2015 etwa 55% der Erwachsenenbevölkerung. Auch in der Schweiz wären viele soziale Projekte für Geflüchtete ohne den Einsatz von Freiwilligen kaum möglich.
Das aktuelle politische Klima erlaubt es also zuwanderungsfeindlichen Parteien und Gruppierungen, Gleichdenkende stärker zu mobilisieren. Dies ist alarmierend, und bedarf kritischer Entgegnung, Gegenmobilisierung sowie verbessertem Opferschutz und sensibilisierten Strafverfolgungsorganen. Gerade in der Schweiz gibt es hier noch Handlungsbedarf, wie auch der Menschenrechtrat der Vereinten Nationen Ende letzten Jahres festgestellt hat. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass zuwanderungsfeindliche oder rassistische Positionen zwar laut und öffentlichkeitswirksam, aber deshalb noch lange nicht mehrheitsfähig sind.
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